Im Post-Covid-Zeitalter, in dem unsere tägliche Aufmerksamkeitsspanne – zusammen mit der Social Media Ablenkung – nachweisbar immer kürzer wird, haben Medienschaffende kreative Methoden entwickelt, uns Zuschauende bei Laune zu halten. Eine davon ist das „Rückwärts-Storytelling“. Und das funktioniert so: Um komplexe Geschichten zu vereinfachen oder um noch mehr Spannung zu erzeugen, wird die Handlung verdichtet und nicht mehr linear erzählt sondern in Abschnitten. Fragmentarisch. Spoiler zu Beginn nicht ausgenommen.
Und damit sind nicht Teaser oder Trailer gemeint, die einer Geschichte vorangestellt werden, sondern erste Fragmente liefern in einigen Fällen den Ausgang einer Geschichte gleich mit. Der Vorteil: Ein Spannungsaufbau wird nicht benötigt. Nachteil: Es gibt keinen Spannungsaufbau. Die Handlung in John Crowleys „We Live in Time“ beginnt mit einer Krebsdiagnose. Und das ist nicht der Anfang der Beziehung von Almut und Tobias, um die es im Folgenden geht, sondern deren Ende. Crowley stellt den Cliffhanger gleich dazu: Die an den Eierstöcken erkrankte Köchin Almut, überzeugend verkörpert von Florence Pugh, bespricht mit ihrem Freund Tobias, Angestellter in der Lebensmittel-Industrie, eine schwierige Entscheidung, deren Ausgang für sie längst gefallen ist: Mit Krebs sechs Monate das Leben genießen oder sich in eine mindestens einjährige Chemo stürzen, deren Ausgang ungewiss ist?
Krebsdiagnose mit Mitte 30
Wie soll man sich da entscheiden? Mit Mitte 30. Almut eine talentierte Köchin, hat eine professionelle Eiskunstlauf-Nachwuchs-Karriere abgebrochen und in ihrem Umfeld, vor allem aber in ihrer neuen Beziehung möchte sie auf jeden Fall vermeiden, Schwäche zu zeigen? Almut Brühl ist die Entscheidungsträgerin, die Starke oder zumindest stärkere in der jungen Beziehung. Das macht nicht nur die Entstehung ihrer Beziehung deutlich: Almut hat Tobias, etwas blass verkörpert von Andrew Garfield, eines abends auf einer vielbefahrenen Straße überfahren, sie ist ihm ins Krankenhaus gefolgt und an seiner Seite geblieben, um ihm in der Nachbehandlung mitzuteilen, dass sie die Verantwortung für seine Verletzungen trägt – nein, Almut wird ihrem Partner später auch eine Teilnahme an einem Koch-Wettbewerb verschweigen, in ihrer Chemo, sie ist inzwischen zudem Mutter. Leider lässt sich in den Fragmenten nicht mehr Substanz herauslesen, die John Crowley zusammen mit seiner Cutterin Justine Wright wild und wahllos aneinander gereiht haben.
Im Hier und Jetzt
Das Drehbuch von Nick Payne hat zudem für Szenen aus dem stressigen Alltag zwischen Beruf, Partnerin und Partner, Mutter- und Vatersein neben der Balance innerhalb der Beziehung ebenso wenig übrig wie mit ihrem Verhalten zur Außenwelt (Freunde, Familie etc.). Fragmentarisch werden meist romantische Szenen aneinandergereiht, ein gemeinsames Schlittschuhlaufen, das gemeinsame Baden mit dickem Bauch der werdenden Mutter, die gemeinsame Vater-Tochter-Anfeuerung bei einem Wettbewerb. Eine apostrophierte Aufforderung, im Hier-und-Jetzt, heute, im Augenblick zu leben. Halt „We Live in Time“. Äußere Einflüsse wie Konkurrenten, attraktive Kolleg*innen oder Geld- oder Familienprobleme spielen ebenfalls keine Rolle. (Aber hat es das jemals in einem US-Melodram?)
Form follows function
„Form follows function“ im Film von Nick Payne (Drehbuch) und John Crowley (Regie). Nur wenige Filme schaffen es, zwei Krebsdiagnosen, eine Geburt, eine schwierige Vater-Tochter-Beziehung, eine aufblühende Liebe UND das Sterben in ein Narrativ einzubinden, ohne dass das Publikum das Gefühl hat, dass mit seinen Emotionen jongliert wird. Aber wenn das Ziel bzw. die Funktion „Junge Liebe mit Schwierigkeiten“ in eine derart wilde, fragmentarische Form gegossen wird, um mit Beziehungs-Highlights die Herzen eines jungen Publikums zu erreichen, dann haben es sich Payne und Crowley zwar sehr einfach aber für das Zielpublikum alles richtig gemacht.
Publikumsliebling Florence Pugh
Zudem haben der Regisseur und der Drehbuchautor (und auch die Produzenten u.a. Benedict Cumberbatch) das Glück, dass die vielseitige und wandelbare Florence Pugh (Dune 2, Oppenheimer, Black Widow) zur Hochform aufläuft und sofort die Sympathien des Publikums erobert. Genau wie ihr Side-kick, der stets charmante (aber hier etwas blasse) Andrew Garfield. Und dass ein Krebsleiden nicht mit einem Handkuss auf der Eisfläche zu Ende geht, wie eine Szene behauptet, dass dürfte die (junge) Zielgruppe dieses Films kaum stören. Nahtlos reiht sich also auch diese Young-Adult-Romance ein in die Reihe der beim (jungen) Publikum äußerst beliebten Erfolge mit „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ oder „Nur mit Dir“. Neu an „We Live in Time“ ist die fragmentarische und nicht-chronologische Erzählweise mit lockerleichten Momentaufnahmen. Das kann man „geschickt“ nennen oder eben auch eine Anbiederung an ein junges Publikum, das mit „Erzählhäppchen“ aufwächst statt mit Storytelling und Spannungsaufbau a la Nora Ephron oder Douglas Sirk.