Große Filme haben oft das EINE große Bild: Das Fahrrad im Mond, die ausgebreiteten Arme am Schiffsbug oder eine Landebahn im Nebel. Goße Momente, die sich einbrennen, die von Fans nachgestellt werden an verschiedenen Orten, und die eben nur das Kino hervorbringen kann. In Dominic Cookes Drama ist es ein verlassener Strand. An diesem steht – zum Ende hin – ein junges Liebespaar, das frisch vermählt über ein Problem diskutiert. Leseratten werden wissen, um was es geht. Denn der Film basiert auf dem Roman „Am Strand“ (affiliate Link, detebe, Band 23788) von Ian McEwan. Der Film ist für all diejenigen, die den Roman nicht kennen.
Der Schauplatz der Schlussszene ist zugleich der Schauplatz der Eingangszene. Das ist kein Kniff von Ian McEwan, der auch das Drehbuch schrieb, kein da capo al fine sondern ein bewußt angewendetes Stilmittel. Abgelöst von zahlreichen Montagen und Rückblenden. Die Handlung spielt ausschließlich auf und an diesem kleinen Landstrich in der Nähe von Dorset. Sowie in einem kleinen Hotel. Zwischen Intro und Outro, zwischen Kieseltrand und Kieselstrand liegen nur wenige Stunden. Aber es sind Stunden, die das Leben zweier Menschen radikal beeinflussen und verändern werden.
Florence fand es nicht warm genug
Es geht um Florence und Edward, ein junges Paar, das zu Beginn auf diesem Kieselstrand in Richtung Küste schlendert. Sie unterhalten sich über Musik, über Rhythmus und Harmonien, der junge Mann hat eine Vorliebe, die jüngere Frau eine andere. Wir befinden uns im Jahr 1962. Im Gegenschnitt sieht man ein Hotel, auf das die beiden zugehen. Nach weiteren Informationen wird schnell klar, dass es sich um eine Hochzeitsreise handeln muss. Es folgt ein Abendessen, es ist kühl aber es regnet nicht und McEwan beschrieb die Szene in seinem Roman weiter mit „doch fand Florence es auch nicht warm genug, um auf der Terrasse vor dem Haus zu essen, was sie eigentlich gern getan hätten. Edward war anderer Ansicht, aber viel zu rücksichtsvoll, als dass er auch nur daran gedacht hätte, ihr zu widersprechen, schon gar nicht an diesem Abend.„
Die Worte von Ian McEwan, umflort von einem Glanz, der nicht erst seit seinem Triumph mit „Abbitte“ viele seiner Fans verzückt, haben auch hier einen ganz leichten Stich ins Überhebliche. Im Gegensatz zu Joe Wright allerdings, der 2007 nahezu 1:1 die weitreichenden Dramen aus „Atonement“ (so der Originaltitel von Roman und Film) in passende Kinobilder zu übersetzen versuchte, hat Dominik Cooke, der bislang nur als Theater- und Fernsehregisseur gearbeitet hat, den Mut, überflüssige Requisiten raus zu lassen und den vorherigen McEwan-Verfilmungen – zusammen mit seinem Kameramann Sean Bobitt – die typischen kataloghaften Farben und Einstellungen auszutreiben.
Mit der Vorlage auf Augenhöhe
Obwohl Cooke nichts anderes tut als das Buch, in Rückblenden die Vorgeschichte einer Hochzeitsnacht zu erzählen, besitzt der Film eine Leichtigkeit, eine Zuversicht, die weit entfernt ist von der retrospektiven Bitterkeit, mit der das Vergangene bei McEwan sonst getränkt ist. Zudem hat Cooke zwei Darsteller, die endlich NICHT in ihren Kostümen vor Ehrfurcht ihrer Romanfiguren erstarren, sondern mit der Vorlage auf Augenhöhe umgehen und somit den Film – zusammen mit den atmosphärischen Nuancen von Kameramann Bobbit – zu einem ganz besonderen Film machen: Saoirse Ronan, die bereits den 13-jährigen Teufelsbraten in „Abbitte“ verkörperte und die junge britische Schauspielhoffnung Billy Howle verleihen diesem jungen Liebespaar aus dem Jahr 1962 eine Leichtigkeit, die spätestens nach 30 Minuten ansteckend wirkt und noch viele Tage tief berührt. Ein GROßER Film.