Interviews mit Kulturschaffenden, das wissen Journalisten sehr genau, haben ihren Reiz. Nicht selten entwickelt sich zwischen den Protagonisten ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel ohne einen eindeutigen Gewinner. Das Ziel eines guten Interviews ist jedoch klar definiert: In einem guten Interview sollen die Leser*innen mehr über die Person erfahren, über die sie schon alles zu wissen glauben. Der Kulturschaffende sucht den Austausch und nicht selten auch die Präsenz in den Medien. Wenn ein Interview darüber hinaus zu einem undurchsichtigen Spiel um die Wahrheit wird, wenn eine Abfolge von Enthüllungen die Spannung steigert, ist dies immer öfter auch ein Stoff für die Bühne.
Der britische Drehbuchautor Peter Morgan, der die Interviewreihe des britischen Journalisten Peter Frost mit dem ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon im Jahre 2006 für die Bühne umsetzte und damit weltweit große Erfolge feiern konnte, wurde unlängst für die Leinwandadaption seines Bühnenstückes mit einer Oscar-Nominierung belohnt. Es ist gut möglich, dass der Brite ein anderes Stück eines noch bekannteren europäischen Dramatikers dabei als „Vorbild“ im Kopf hatte: Zehn Jahre früher nämlich hatte der französische Dramatiker und Romancier Éric-Emmanuell Schmitt sein Zwei-Personen-Stück namens „Enigma“ geschrieben, das ebenfalls wenig später verfilmt wurde – vom deutschen Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff mit Mario Adorf und Justus von Dohnányi in den Hauptrollen.
Die münstersche Besetzung am Wolfgang-Borchert-Theater mit dem Paderborner Heiko Grosche und dem Neu-Münsteraner Sven Heiß in den Hauptrollen muss sich also messen lassen mit Namen wie Adorf oder Alain Delon (der in der Pariser Uraufführung den Literaturnobelpreisträger Abel Znorko verkörpert hatte) oder auch Donald Sutherland, der in der Rolle bereits an den Bühnen von Los Angeles, Toronto und London brillierte. Die Inszenierung von Meinhard Zanger gibt sich große Mühe, ein eigenes Bild des spannenden Interviews von Éric-Emmanuel Schmitt zu zeichnen. Ihr eigenes Enigma-Bild. Ohne dabei die großen Fußstapfen der Vorbilder füllen, oder gar die Rätsel um die verflossene große Liebe auf bekannt westfälisch rudimentäre Art lösen zu wollen.
Großen Anteil an der eigenen Handschrift trägt das hervorragende Bühnenbild von Petra Buchholz. Mit reichlich unbehandeltem Holz schafft sie ein sowohl behagliches wie raues Bild des Raumes für das Interview. Kaum geben die zahlreichen Scheinwerfer auf der Bühne für den Zuschauer den behaglichen Raum preis, durchbricht ein lauter Schuss die Stille. Ein junger Mann stürmt auf die Bühne, sichtlich verwirrt über den Schuss, der ihn nur knapp verfehlte. Mit einem Gewehr in der Hand betritt nur Sekunden später Abel Znorko die Bühne und eröffnet das Schauspiel: „Ich schieße nur auf Leute, die sich meinem Haus nähern. Sind sie erst einmal drin, sind sie meine Gäste.“ Abel Znorko ist ein Sonderling, ein Kauz, ein erfolgreicher Schriftsteller, Literaturnobelpreisträger und Einzelgänger. Heiko Grosche verkörpert den Eremiten der Literatur mit reichlich Verve sowohl in seiner fast schon utrierten Aussprache wie auch in seinen zurückhaltenden aber strengen Gesten. Ihm gegenüber steht der junge Journalist Erik Larsen, dem ein Interview mit dem großen Literaten gewährt wurde und der zu Anfang noch zuversichtlich auf eben jenes blickt. Larsen beginnt in seiner nordischen, unbekümmerten Art, Znorko zu dessen neustem Buch zu befragen.
Doch Znorko entpuppt sich als schwieriger Gesprächspartner. Er stellt Gegenfragen, greift den Journalisten sogar persönlich an. Der Versuch Larsens, etwas über Znorko zu erfahren, löst schließlich ein Wort-Gefecht aus. Zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, liefern vor den Augen der Zuschauer ein verbales Duell über das Leben und die Liebe.
Die große Kunst des Romanciers Eric-Emmanuel Schmitt wird in diesen Szenen besonders deutlich: Es gelingt nur wenigen Dramatikern, mit Wendungen und Verschlüsselungen (die sich langsam lösen und doch nur wieder neue Rätsel erzeugen) den Leser oder die Zuschauer so bei Spannung zu halten. Schmitts Ton ist eindeutig der des Konversationsstücks, kultivierte Phrase folgt auf verbale Attacke. Zanger inszeniert diese zweistündige „Achterbahnfahrt“ durch die Höhen und Tiefen menschlicher Existenz gewohnt routiniert. Seine Vorliebe für die messerscharfe Betrachtungsweise Eric-Emmanuel Schmitts spiegelt sich vor allem in den hervorragenden Leistungen seiner Darsteller wider.
Einmal mehr beweist der Intendant des Wolfgang Borchert Theaters hier sein gutes Händchen für die passende Besetzung. Sowohl für die Figur des Exzentrikers Znorko aber ganz besonders für die Rolle des jungen Journalisten Larsen, mit der Sven Heiß einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Nach zwei Stunden voller Spannung lobte das Publikum die Arbeit des Ensembles mit stürmischem Applaus.