Das Jahr 2020 hat uns einiges abverlangt. Auch mir persönlich. Mit der ersten Corona-Pandemie-Welle im März wurden neben zahlreichen Kultur-Einrichtungen auch die Kinos geschlossen. Damit gab es auch keine Filmkritiken mehr, auch in der nadann Wochenschau für Münster nicht. Wir durften andere Geschichten erzählen. Auch für mich fiel damit eine Tätigkeit weg, die ich bereits seit über 20 Jahren ausübe. Aber wir von der nadann… sind ein tolles Team. Das verantwortliche Duo Ulrike Wiemann und Arno Tilsner handelte schnell. Der inhaltliche Schwerpunkt verlagerte sich. Wir schrieben über unsere Arbeit, über die Kulturszene, über (Corona-)Schicksale und über vieles mehr.
Meine persönlichen Sichtungen und Kinobesuche hatten sich im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verringert. Mit nur etwa 60 Kinobesuchen kam ich auf so wenige Kinogänge wie noch nie in meinem Leben. Zumindest seitdem ich alt genug bin für das Kino. Einmal mehr geriet dieses eine große Hobby zu einer Leidenschaft, die auch Leiden schafft. Das Kapitel 2020 ist nun zum Glück geschlossen. Eine Impfstoff ist gefunden und wird derzeit verabreicht. Mögen damit auch die Lichtspieltheater schnell wieder öffnen.
Wie in jedem Jahr soll aber auch in diesem Jahr kurz zurückgeblickt und abgerechnet werden. Corona hin, Corona her. Was war gut? Was war weniger gut? Der Redakteur bedient sich – wie bereits im letzten Jahr – dazu gerne einer Bestenliste. Diese darf im Schlussakkord auch dieses Jahres ebenso wenig fehlen wie die langen Sichtungsabende mit den ausgelassenen Empfehlungen von Freunden und Kollegen.
Das sagen die anderen
Auch mit „nur“ knapp 60 Sichtungen KANN NICHT NUR ICH sagen, dass das Filmjahr 2020 eines der schwierigsten war. Zahlreiche Blockbuster („James Bond“, „Disneys Mulan“, „Mission Impossible 7“) wurden verschoben und auch die meisten Arthouse-Produktionen fanden keinen geeigneten Starttermin. Mit „Tenet“ von Christopher Nolan gab es im Spätsommer ein Glanzlicht. Dem Film wurde zugleich die schwere Aufgabe zuteil, das Kinojahr 2020 retten zu müssen. Nahezu unlösbar. Alle großen Filmveranstaltungen wurden abgesagt. Die Redakteure nahmen für dieses Jahr sodann auch die „Video-on-Demand-“ Online-Angebote in ihre Bestenlisten mit auf. Die Filmredaktion der Süddeutschen Zeitung kührte demnach nicht die besten Kinofilme des Jahres sondern ihre „Magic Moments„. Die geschätzten Kollegen vom Portal critic.de berichteten in ihrer Rückschau auch von den wenigen Veranstaltungen, die noch stattfanden. Die Kollegen vom Bayrischen Rundfunk erwähnten gleich 11 Filme, die man gesehen haben musste. In eben diesen Bestenlisten tauchen sehr unterschiedliche Filmtitel auf. Christopher Nolans „Tenet“ ist darin genauso oft vertreten wie „Little Woman“ von Greta Gerwig oder auch „1917“ von Sam Mendes. Letztere habe ich leider nicht gesehen.
Meine Topten 2020
Bei einem fünfköpfigen Redaktionsteam mit unterschiedlichen Interessen bleibt der ein oder andere Film für mich schonmal auf der Strecke. Einen Festivalbesuch gab es in diesem Jahr auch nicht. Filme wie „1917“, „Little Women“, „Der schwarze Diamant“ oder „Niemals, selten, manchmal, immer“ sind mir schlichtweg „durchgerutscht“. Bleibt zu hoffen, dass die Kinos im nächsten Jahr wieder all das zeigen können, was sie zeigen wollen. Und, dass ich das richtige Händchen habe und die richtige Wahl treffe. In diesem Jahr möchte ich zunächst auf folgende Sichtungen hinweisen, die mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind:
1. Tenet (Christopher Nolan)
Wer diesen Film NICHT auf seiner Liste 2020 hat(te), der hat ihn (noch) nicht gesehen. Ein furios in sich selbst verschraubter Action-Thriller um einen ganz besonderen Auftrag. Ein Bilderrausch, der (fast) das Kino in diesem schwierigen Corona-Jahr gerettet hätte. Aber leider auch nur fast.
2. Knives out (Rian Johnson)
Star Wars-Regisseur Rian Johnson belebt das angestaubte Whodunit-Krimi-Genre neu. Und klärt mit bestens aufgelegten Hollywood-Stars sowie auf höchst unterhaltsame Art und Weise den Mord an einen Familien-Patriarchen auf.
3. Soul (Pete Docter)
Corona-bedingt leider „nur“ auf Abruf bei Disney+ verfügbar: Musiklehrer Joe Gardner bekommt eine zweite Chance im Leben und wird zum Mentor für eine verängstigte Seele. Mit viel Jazz-Musik, Herz und Herzschmerz. Ganz wie von Pixar gewohnt. Rundum gelungen.
4. Zombi Child (Bertrand Bonello)
Ein gewagter aber sehr gelungener Mix aus Coming-of-Age-Drama und Horrorfilm. Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit: Nach „Haus der Sünde“ und „Nocturama“ mischt Bertrand Bonello in seinem Film sehr effektiv Motive des Horrorfilms mit einem Mädcheninternatsdrama und zeigt damit komplexe Verstrickungen von postkolonialem Erbe und Popkultur in Frankreich.
5. Die Kordillere der Träume (Patricio Guzmán)
Runterkommen. Ein Schlagwort für dieses Jahr. Auch für den Dokumentarfilmer Patricio Guzmán
, der im finalen Teil seiner Trilogie über die Geografie und Geschichte Chiles sich dem chilenischen Hochgebirge zuwendet. Eine eindringliche Reise nach Südamerika, nicht so gut wie die Vorgänger („Der Perlmuttknopf„, „Heimweh nach den Sternen„) aber in diesem Jahr einer der besten Dokumentationen.6. Für Sama (Waad Al-Khateab, Edward Watts)
Hoffnung im Chaos. Auch für Sama, Tochter von Journalistin Waad Al-Khateab, die in den Syrien-Krieg hineingeboren wird. Ein Dokumentarfilm mit schrecklichen Bildern, viel Authentizität aber noch mehr Hoffnung und Liebe.
7. Berlin Alexanderplatz (Burhan Qurbani)
Regisseur Burhan Qurbani (auch Drehbuch) verlegt Alfred Döblins legendären gleichnamigen Roman in die Gegenwart und schafft eine dreistündige, ebenso überzeugende wie wuchtige Neuverfilmung, auch Dank seiner herausragenden Darsteller.
8. Corpus Christi (Jan Komasa)
Mit Geduld, perfektem Schnitt, fesselnden Bildern und einem herausragenden Hauptdarsteller (European Shooting Star Bartosz Bielenia) gelingt dem polnischen Newcomer-Regisseur Jan Komasa ein packendes Drama um Liebe, Glaube und Doppelmoral. Das übrigens völlig zu Recht ins Rennen um den Oscar 2021 ging.
9. Anders essen – Das Experiment (Kurt Langbein, Andrea Ernst)
Die österreichischen Dokumentarfilmer Kurt Langbein und Andrea Ernst haben drei Familien im Selbstversuch ausprobieren lassen, wie sich der ökologische Fußabdruck verändert, wenn wir unserer Ernährungsgewohnheiten umstellen. Das ist anschaulicher als die meisten Studien zum Thema, Praxistipps gibt es auch.
10. Anton Bruckner – Das verkannte Genie (Reiner Moritz)
Ein zwar wenig innovatives aber doch sehr viel Lust machendes Bild eines verkannten Genies, dessen Oeuvre unbedingt näher erkundet werden sollte.
Das war das stark dezimierte Kinojahr 2020. Auf ein Neues! Wie fandet Ihr das Jahr? Bitte gerne in die Kommentare! Wer die besten Filme des Jahres 2019 noch einmal nachlesen möchte, für den habe ich hier den Link dazu. Wir sehen uns an dieser Stelle hoffentlich wieder. Mit besseren Filmen. In einem hoffentlich Kino-freundlicheren Jahr 2021. Bis dahin!