_ aus dem Kino

Interview mit Tom Tykwer über seine Filme „Drei“ und „Soul Boy“

Tom Tykwer im Interview im Cinema Münster mit Christian Gertz
Tom Tykwer im Gespräch mit Christian Gertz (Photo: R. Emmerich, 2010)
Nach zehn Jahren ist er zurück zu seinen filmischen Wurzeln. Sein neuer Film „Drei“ war der einzige deutsche Wettbewerbsbeitrag beim Filmfestival in Venedig 2010 und nach internationalen Großproduktionen wie „Das Parfüm“ oder „The International“, in denen er mit Darstellern wie Dustin Hoffman, Naomi Watts oder Clive Owen zusammenarbeitete, hat er sein jüngstes Projekt ausschließlich mit deutschen Darstellern und in deutscher Sprache umgesetzt.

Tom Tykwers neuer Film erzählt von einer außergewöhnlichen Dreiecksbeziehung. Hanna (Sophie Rois) und Simon (Sebastian Schipper) sind seit 20 Jahren ein Paar. Beide beginnen nahezu zeitgleich eine Affäre mit dem selbstbewussten und erfolgreichen Stammzellenforscher Adam (Devid Striesow). Da keiner der Beteiligten über die Affären des anderen im Bilde ist, ergeben sich mal lustige, oft komplizierte aber immer schicksalhafte Momente. Als Hanna schwanger wird, überstürzen sich die Ereignisse.

Auf seiner Kinotour mit über 16 Kinos in acht Tagen hat der international erfolgreiche Regisseur an einem verschneiten Freitagabend auch in Münster Station gemacht, um im ausverkauften Cinema dem begeisterten Premierenpublikum ein paar Fragen zu beantworten. Ich durfte Tom Tykwer bereits während der Vorstellung mit Fragen löchern. In dem knapp zweistündigen Gespräch ging es u.a. um sein Projekt „Soul Boy“, um die besten Filme des Jahres und natürlich um seinen neuen Film „Drei“.

 

Christian Gertz: Herr Tykwer, schön, dass es bei diesem Wetter mit ihrem Besuch in Münster geklappt hat. Sie haben hier bereits drei Filme vorgestellt, „Die tödliche Maria“, „Winterschläfer“ und natürlich „Lola rennt“. Ich will aber unser Gespräch zunächst mit einem kleineren Projekt beginnen, das mich auch sehr begeistert hat, es geht um den Kinderfilm „Soul Boy“, den sie produziert haben. Sie sind selbst frischgebackener Papa. Entsprang aus diesem Ereignis vielleicht auch der Wunsch, mal einen Kinderfilm zu machen?
Tom Tykwer: Nein. Eigentlich gar nicht. Das ist gar nicht mein Genre. Das ergab sich dadurch, weil meine Frau sehr viel mit Kindern zu tun hat. Über einen Verein organisiert sie schon seit einigen Jahren Kunstunterricht an Schulen in Slums in Kenia. Und irgendwann habe ich ihr gesagt, dass ich mich da auch gern einbringen würde – und da lag es nah, das in dem Bereich, der mir am nächsten steht zu tun, im Bereich Film. Zusammen haben wir jetzt dieses Projekt initiiert, um jedes Jahr zweiwöchige Intensivkurse anbieten zu können – in verschiedenen Disziplinen, von der Regie bis zum Ton. Das Projekt trägt sich noch durch Sponsoren und Fördergelder, beispielsweise auch durch die Hilfe der Filmförderung NRW.

Christian Gertz: Wurde in diesen Kursen auch die Arbeit für Soul Boy vorbereitet? Also der Prozeß von der Drehbuchentwicklung über das Casting bis hin zum Dreh?
Tom Tykwer: Nein. Die Arbeit zum Film „Soul Boy“ war etwas unstrukturierter. Da haben wir damals alle sehr improvisieren müssen. Die Crew haben wir beispielsweise vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda zusammengesucht.

Christian Gertz: Sie haben den Film produziert. Ich war vor allem von den schauspielerischen Leistungen der jungen Darsteller überrascht, wie auch von den tollen und vor allem „ehrlichen“ Aufnahmen in den Slums. „Soul Boy“ ist alles andere als ein „Elendsdrama“. Aber die Aufnahmen erinnern ein wenig an die Aufnahmen von Danny Boyle aus seinem mehrfach preisgekrönten Film „Slumdog Millionär“. Filmkritiker hatten Boyle damals „Armutspornographie“ vorgeworfen.
Tom Tykwer: Ja, das habe ich damals nicht verstanden, denn die Aufnahmen sind wirklich toll. Wir haben auch versucht, das Leben in den Slums von Kibera so authentisch wie möglich einzufangen, ohne dabei auf die Härte des Alltags zu fokussieren. Man kann sich das nur schwer vorstellen. Die Gegend ist unvorstellbar dicht besiedelt und das Leben dort wirklich chaotisch. Wir wollten natürtlich nicht ständig in die Augen afrikanischer Slum-Kinder blicken, sondern das Gefühl von Zusammenhalt transportieren. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Ich muss aber auch sagen, dass neben der dramaturgischen Beratung meine einzige praktische Verantwortung darin lag, dafür zu sorgen, dass der Zeitplan, den wir zur Verfügung hatten, eingehalten wurde und vielleicht noch, dass alle am richtigen Ort standen.

Christian Gertz: War „Soul Boy“ in dieser Größenordnung ein einmaliges Projekt? Oder wird es weitere Filme mit oder von Ihnen aus dieser Zusammenarbeit geben?
Tom Tykwer: Ja, natürlich. Ich habe gerade ein neues Projekt in Kenia abgedreht. Und es wird hoffentlich jedes Jahr ein weiteres Projekt geben. Aber das braucht Zeit.

Tom Tykwer vor dem Cinema in Münster. (Photo: R. Emmerich, 2010)
Tom Tykwer vor dem Cinema in Münster. (Photo: R. Emmerich, 2010)
Christian Gertz: Ich weiß, dass Sie begeisterter Cineast und regelmäßiger Kinogänger sind. Haben Sie überhaupt durch die vielen Projekte in diesem Jahr Zeit für´s Kino finden können?
Tom Tykwer: Als ich in Kenia war natürlich nicht, aber sonst ja, doch. Auf den Festivals wie auf der Berlinale oder in Venedig sehe ich mir auch einige Filme an. Und ich habe als Mitglied der Academy (of Motion Picture Arts and Science, Anm. r. Red.) den Vorteil, dass ich die Filme nach Hause geschickt bekomme. Da muss ich jetzt noch einige nachholen.

Christian Gertz: Ihre drei besten Filme des Jahres?
Tom Tykwer: Das ist schwierig jetzt auf Anhieb. Was lief denn alles in diesem Jahr?

Christian Gertz: (Interviewer zeigt eine Liste mit allen Filmstarts des Jahres 2010)
Tom Tykwer: Oh, das ist ja toll! (Wirft einen kurzen Blick auf die Liste). Wirklich toll waren „Un prophete“ (Anm. d. Red.: „Ein Prophet“, F 2009); den neuen Gaspar Noé „Enter the Void“ fand ich wirklich toll und natürlich auch Apichatpong Weerasethakuls neuen Film „Uncle Boonmee“.

Christian Gertz: Was ist mit Olivier Assayas „Carlos“, „The Social Network“ oder dem neuen Woody Allen Film „You will meet a Tall Dark Stranger“?
Tom Tykwer: Die habe ich durch meinen Aufenthalt in Kenia leider noch nicht sehen können. Läuft denn die Langfassung von „Carlos“ noch im Kino?

Christian Gertz: Ich glaube schon. – Kommen wir zu ihrem aktuellen Projekt „Drei“. Mich interessiert weniger, warum Sie nach zehn Jahren mal wieder ein Projekt in deutscher Sprache realisieren, darüber ist schon ausreichend geschrieben worden. Mich interessiert vor allem der gesellschaftskritische Ansatz und der Mut, die traditionelle, allseits beliebte Konstellation Mann – Frau und die daraus resultierenden Möglichkeiten aufzubrechen und um eine neue Lesart zu erweitern. Adam (Devid Striesow) bricht diese älteste aller Zellen auf und aus Zwei werden plötzlich Drei – eine Ménage à trois – auch mit der Konstellation: „mit ihm und ihm“. Hätten Sie den Film auch schon früher, beispielsweise nach „Winterschhläfer“ machen können? Oder bedarf es da einer internationalen Karriere wie der Ihrigen, um diese Geschichte so auf die Leinwand bringen zu können?

Tom Tykwer: Nein, ein jedes Jahrzehnt hat andere Geschichten und Möglichkeiten. In den 90ern ging es um materiellen Wohlstand oder um finanzielle Sicherheiten, zu Beginn des 21. Jahrhunderts geht es mehr um den Zwang zur Paarbildung und um die Sehnsüchte, die wir alle in uns tragen. Ich bin mir sicher, dass nahezu jeder Kinogänger schon einmal an eine ander Form seiner Beziehung gedacht hat, wenn auch nur ganz kurz. Aber jeder hat zumindest schon einmal daran gedacht. Wenn dem nicht so ist, gehe ich mit der- oder demjenigen sofort zum Therapeuten (lacht!).

Christian Gertz: Wie persönlich ist dieser Film? Ist es ein Film über Vierzigjährige? Ein Film über die Probleme einer Generation?
Tom Tykwer: Nein, es ist kein Film über mich oder über meine Probleme. Und ich will auch damit nicht sagen: So sind wir. Aber ich kenne diese Probleme. „Drei“ ist ein Film über Erwachsene, denen die Kontrolle über ihr Leben abhandenkommt. Dieses Gefühl erwischt jeden Menschen irgendwann, und jedes Mal wieder muss man versuchen, sich auf die neuen Bedingungen und Spiel­regeln einzulassen. Passieren kann das genauso mit 20 wie mit 70. Das Paradoxe daran ist: Man hat Angst vor Neuem. Das ist ein riesiger Widerspruch.

Christian Gertz: Als Film- und Theaterfan habe ich mich natürlich besonders über die Szenen gefreut, in denen die deutsche „Kulturwirtschaft“ gezeigt wird, also eine Ausstellung, eine Choraufführung, eine Installation. Wieso gibt es diese Einblicke im Gegensatz zum franz. Kino nicht öfter auch in deutschen Filmen? Jeder hat doch heute etwas mit Kunst zu tun, im weitesten Sinne?
Tom Tykwer: Genau. Die meisten Kinobesucher oder sagen wir 3/4 der Besucher im Saal werden eine Facebookseite haben. Diese Seite bekommt ihre identifikationsstiftende Funktion, indem man sagt: Das ist mein Lieblingsbuch, mein Lieblingsfilm, meine Lieblingsmusik. Ich weiß auch gar nicht, was an Bekenntnissen übrig bliebe, was nicht kulturell wäre. Die Lieblingsfarbe vielleicht. Aber die ist ja auch schon Kultur.

Christian Gertz: Hätten Sie nicht auch einmal Lust auf Theater? Also die Regie eines Theaterstücks zu übernehmen?
Tom Tykwer: Nein. Ganz klar nein. Mein Metier ist das Kino. Hier kenne ich mich aus. Theater können andere viel besser.

Christian Gertz: Was wird es dann als nächstes von Ihnen geben? Kommt jetzt wieder ein internationales Projekt?
Tom Tykwer: Ja, ich plane etwas mit den Gebrüdern Wachowski (Anm. d. Red.: Larry und Andy Wachowski, weltbekannt geworden durch die Matrix-Filme). Es wird um die Verfilmung des Romans „Der Wolkenatlas“ von David Mitchell gehen. Genaueres kann ich noch nicht verraten, wir schauen mal!

Christian Gertz: Herr Tykwer, vielen Dank für das Gespräch. Ich glaube, Sie müssen jetzt gleich weiter. Kommen Sie bei dem Wetter gut an. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit den tollen Filmen „Soul Boy“ und „Drei“. Letzterer ist übrigens einer meiner Filme des Jahres. Nicht zuletzt auch wegen der Motive von Vittorio de Sica und Alfred Hitchcock und des tollen Songs „Space Oddity“ von David Bowie.
Tom Tykwer: Oh, sind Ihnen die Motive aufgefallen? Ja, beide Filmemacher sind große Vorbilder für mich. Sie schweben – wie die engelhafte Mutter von Simon im Film – auch stets über mir. Oder zumindest hoffe ich das. Und den Song von Bowie habe ich gewählt, weil er für und in viele(n) Generationen zeitlos ist. Und welcher Song ist das schon, von den Songs der Beatles jetzt mal abgesehen. Danke auch für das Gespräch.