Münter im September. Auf dem Nachauseweg vom Kino treffe ich ein befreundetes Pärchen. Wir haben den gleichen Weg mit dem Bus. Ich muss ihnen direkt von dem Film erzählen. Meine Eindrücke waren noch frisch, so kurz nach dem Kinobesuch. „Wow, was für eine Frau“ eröffne ich gleich das Gespräch. „Hallo Christian, kommst Du wieder einmal aus dem Kino?“ – „Ja, entgegne ich.“ „Ein toller Film. Es ging um eine junge Transsexuelle, die nach dem überraschenden Tod ihres älteren Geliebten massiv angefeindet wird – von seiner Familie, der Polizei, den Ärzten im Krankenhaus. – Ein Film aus Chile.“ – Zwei Augenpaare wanderten nach oben. Stirnrunzeln.
Nein, eine chilenisch-deutsche-Co-Produktion über eine Transsexuelle mit Problemen ist sicherlich nicht die erste Wahl, wenn man nicht so häufig ins Kino geht. Und drei weitere Kinobesucher mit mir an diesem Freitagnachmittag im Kinosaal waren ein deutlicher Beleg dafür. Schade eigentlich. Denn Sebastián Lelios „Eine fantastische Frau“ ist eine fantastische Wahl.
Eigentlich läuft alles hervorragend für Marina (Daniela Vega). Ihr wesentlich älterer Liebhaber Orlando (Francisco Reyes) bettet sie auf Rosen
, tagsüber kellnert sie in einem alternativen Restaurant, abends steht sie mit ihrer Soul- und Bluesband auf der Bühne. Nach einem wunderbaren gemeinsamen Geburtstags-Abend muss Marina ihren Orlando plötzlich ins Krankenhaus bringen. Durch ein Blutgerinsel verstirbt ihr Geliebter noch in der Notaufnahme.Statt Trost hat der anwesende Mediziner allerdings nur Ekel und Verachtung für Marina über; sie ist eine Transsexuelle und trägt damit seiner Meinung nach mindestens eine Teilschuld am Tod des wohlhabenden Orlando. Das meint wenig später auch die Polizei. Als auch Orlandos Familie die Gliebte von allen Feierlichkeiten ausschließt, muss Marina beweisen, dass sie eine „fantastische Frau“ ist.
Und sie ist es natürlich. Una Mujer fantástica, so lautet schließlich auch der Originaltitel. Und Sebastián Lelio liebt seine Heldin/nen. Für seinen Film „Gloria“ gab es auf der Berlinale 2013 den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin (Paulina Garcia als einsame, geschiedene, aber selbstbewusste Frau Ende fünfzig).
Ganz nah bei der Heldin
Und auch Marina wird den Kampf um Selbstbestimmung und Akzeptanz gewinnen. Sowie den Kampf um den gemeinsamen Schäferhund Diabla, der später zu ihr zurückkommen wird. Der chilenische Regisseur Sebastián Lelio („Gloria“) bleibt stets ganz nah bei seiner Heldin. Er lässt sie auch in unwürdigen Situationen ihre Würde bewahren. Hauptdarstellerin Daniela Vega entgegnet dieser Nähe mit einer Performance, die einen berührt. Und beide – Regisseur und Hauptdarstellerin – widerstehen der Gefahr, aus der Geschichte einen thesenhaften Film über Transsexualität zu machen.
Ein berührendes Porträt von Sebastián Lelio, manchmal mit einigen Längen und unnötigen Szenen, dafür aber mit einer herausragenden Hauptdarstellerin Daniela Vega.