Münster, Hammer Straße. Samstagmittag 14 Uhr. Ich bin im Fußballstadion. Und das nicht zum ersten Mal. Meine Liebe zum SC Preussen Münster entflammte bereits in den so genannten „Nuller-Jahren“. Oder auch in den „Schwarzen Jahren“ für das Bundesliga-Gründungsmitglied. Damals noch Vierte Liga. Besucherschnitt knapp über 4.000. Das ist lange her. Nach etlichen Stadionbesuchen in den Blöcken E, K, L und M wurde meine Liebe stärker. Von meiner Videoberichterstattung für den Verein über zahlreiche Texte in diesem Blog, etlichen Auswärtsfahrten bis hin zu Einladungen im Freundeskreis wollte ich die Flamme weiter tragen. Niemals laut und euphorisch, aber immer begeistert und begeisternd, in Essen, in Lotte, in Leverkusen, Osnabrück und sogar in Verl oder in Dresden. Mit meinen Freunden, zum Großteil weit über die Stadtgrenzen hinaus verteilt, wurden Ergebnisse und Interna ausgetauscht und kommentiert. Stets mit einer gesunden Portion Lokalpatriotismus und in meinem Fall mit dem Preussen-Adler auf dem T-Shirt, der Jacke und vor allem im Herzen. Auch auswärts.
Mit dem Adler auf der Brust oder auf der Jacke bin ich bis auf wenige Sprüche und Rempler andernorts in den Stadien noch nie angemacht worden. Geschweige denn angegriffen. Toleranz hatte funktioniert. Auch in der emotional aufgeheizten Atmosphäre eines Fußballstadions. Wenn man sich dementsprechend verhält. Das durfte ich selbst erfahren und sollte auch heute funktionieren. Dachte ich. Was war passiert? Nach einem knapp zweijährigen Aufenthalt im Rheinland bin ich an diesem Samstag im Mai erst zum dritten Mal in 2016 im Preussen-Stadion. Das Wetter ist super, die Fans strömen, der Block N der so genannten Ultra-Fans aber ist und bleibt menschenleer. Die Pyrotechniker mussten Zuhause bleiben. Die Hintergründe darüber wurden bereits vielfach und vielerorts diskutiert. Selbst „Ab-und-Zu-Edel-Fans“ hatten sich dazu geäußert.
„Kann ich meinen Dynamo-Schal mitbringen?“
Doch meiner – ich nenne es bewusst – Naivität, meinem verklärten Blick, wird an diesem sonnigen Samstag brutal der Schleier genommen. Nach einem gemeinsamen Besuch im wunderschönen Stadion in Dresden im letzten Jahr hatte ich meinen Dresdener Freund Hanno nach Münster eingeladen. Natürlich inklusive Stadionbesuch zum Spiel gegen „seinen“ Dynamo. „Kann ich meinen Dynamo-Schal mitbringen?“ fragt mich Hanno bei seiner Ankunft. Auch weil er – wie ich in den vielen Jahren zuvor – die Liebe zum eigenen Verein auch auswärts nicht verstecken möchte. Hanno hat Eier. Aber ich weiß
, dass er alles andere als ein „Schreihals“ ist. Zudem verfügt mein Freund, Diplomingenieur und Familienvater, über so viel Intelligenz und Fingerspitzengefühl, dass er weder an den falschen Stellen applaudiert noch sonstwie als Gast mit seinem Verhalten provoziert. Schlimm, dass ich das an dieser Stelle überhaupt erwähnen muss.„Preußen Münster steht für Toleranz, Fairness und Respekt“ antworte ich Hanno. Das steht sogar in großen Lettern auf jeder Eintrittskarte geschrieben. Damit wird bei uns also geworben. Zudem sollten die schlimmsten Provokateure an diesem Tag Zuhause sein. Es ist das letzte Heimspiel der Saison. Also „ja, wenn es Dir damit nicht zu warm wird, dann sollte das schon klappen„. Falsch gedacht. Hanno trägt seinen Schal zu Beginn zusammengeknüllt in der Hand. Bereits kurz nach dem Eintritt ins Stadion werden wir von einem unscheinbar aussehenden, jungen Preussen-Fan aufgefordert, doch bitte NICHT mit einem Schal des Gegners den Fanblock M zu betreten. „Kein Problem“ erwidern wir, „wir haben Karten für die Gegengerade„.
Mit dem Schal der „falschen“ Mannschaft
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass ein Online-Artikel der Münsterschen-Zeitung über das Fehlverhalten einiger Dresdener „Fans“ sowie ein zutiefst doofer Kommentar von einem Redakteur auf Radio Antenne Münster die Stimmung im Stadion angeheizt hatte. Kopfschütteln. Noch vor Spielbeginn werden wir am Imbissstand von einem älteren Preussen-Fan bespuckt. Hanno befestigt daraufhin seinen Schal am Hosenbund. In Block K beklatschen wir beide Mannschaften als sie auf das Feld laufen und klatschen gemeinsam, als verdiente Spieler verabschiedet werden. Ein älteres Ehepaar aus Dresden, das in unmittelbarer Nähe steht, berichtet uns, dass sie sich bei Auswärtsspielen stets einen Schal der Heimmannschaft zulegen. So weit ist es also schon gekommen.
Die Stimmung ist ohne die Anfeuerungsrufe aus Block N im Preussen-Stadion unterkühlt. Trotz 25 Grad Außentemperatur. Die beste Laune geht nach dem Anpfiff von den etwa 300 angereisten Gäste-Fans aus. Das Rund an der Hammer Straße ist an diesem Samstag mit über 8.400 Zuschauern gut besucht. Als jedoch die ersten beiden Tore für Dresden fallen, wirken viele Preussen-„Fans“ genervt. Auch auf der Gegengeraden, in Block K, in dem wir stehen. Ein männlicher, äußerst agressiver Fan in Preussen-Kutte entdeckt von Weitem Hannos schwarz-gelben Schal, stürmt auf ihn zu, schlägt ihm auf die Schulter und zwingt ihn, sofort das Stadion zu verlassen. Ich stelle mich dazwischen und frage ihn, ob so in Münster die Gäste begrüßt werden.
Ich schäme mich zutiefst
Hanno lässt seinen Schal in der Hosentasche verschwinden. Doch da hat sich sein „Outing“ als Gast-Supporter anscheinend längst herumgesprochen. Als das dritte Tor für die Gäste fällt, die zu diesem Zeitpunkt als Meister längst feststehen, setzen sich die ersten Preussen-Fans auf den Grenzzaun zum Gästeblock und fangen an, die Dresdener Fans zu provozieren. Von ausgestreckten Mittelfingern über vulgäre Gesten bis hin zu Schmähgesängen reicht das Repertoir der zumeist jungen Preussen-Anhänger. Ein weiterer, sehr junger Preussen-Fan stürmt auf Hanno zu, mit zwei Freunden im Schlepptau. Sein Alter schätze ich auf 18, maximal 22 Jahre. Er fordert Hanno auf, das Stadion zu verlassen, Drohgebärden inklusive. Die umstehenden, meist älteren Preussen-Fans sehen tatenlos den jungen Hasstiraden zu und schauen uns verdutzt an. Ich schäme mich und bin zutiefst geschockt.
Als Fußballfan kenne ich mit mit Hassgesängen im Stadion aus. Oftmals finde ich sie sogar sehr kreativ. Und auch ich wurde in fremden Stadien schon mehrmals verbal angemacht. Jedoch nie verletztend oder gar persönlich beleidigend. Das Niveau, das in Münster in Punkto Kreativität zugegeben nie besonders hoch war, hat an diesem Samstag im Preussen-Stadion einen neuen Tiefpunkt erreicht. Nach dem zweiten tätlichen Angriff treten Hanno und ich den Heimweg an. Zu diesem Zeitpunkt sind noch knapp 20 Minuten zu spielen. Die letzten beiden Preussen-Tore bekommen wir garnicht mehr mit. Ich entschuldige mich mehrmals bei meinem Freund und schäme mich sehr. So ein Verhalten habe ich in über 300 Stadionbesuchen in ganz Deutschland noch nicht erlebt. Aber jetzt, ausgerechnet „Zuhause“. Im eigenen Stadion. Tätliche Angriffe auf Gäste der Gegengerade und Beleidungen der übelsten Art gehen garnicht. Da ist eine Grenze weit überschritten.
Hanno und ich schauen uns noch den Rest der Bundesliga-Konferenzen im TV an, wir versuchen, das Geschehen mit einem Spaziergang am Aasee ein wenig sacken zu lassen, gehen anschließend zusammen noch etwas essen. Ich versuche, mir den Schock nicht anmerken zu lassen. Doch ich bin immer noch sauer. Verärgert über mich selbst, über meine Naivität, über die Münsteraner Gastfreundschaft im Fußballstadion und über „meine“ Preussen. Am nächsten Tag lese ich in den Online-Medien Sätze zum Spiel wie „Bierdose flog in Richtung Polizeibeamtin“ oder „Fan kommt einem Platzverweiß nicht nach.“ Schlimm, Schlimm. Und irgendwo taucht im Text später dann auch „Insgesamt herrschte jedoch eine eher friedliche Stimmung“ auf. In den Sozialen Netzwerken müssen „Bekannte“, die nicht im Stadion waren, den Zustand der kurzzeitig gesperrten Zufahrtswege kommentieren und ja, die dummen Sachsen und sowieso … Ein Armutszeugnis.
Das Problem mit der Toleranz
Gastfreundschaft endet bei einigen „Fans“ in Münster, der ach so toleranten, jungen, katholischen Westfalenmetropole scheinbar dort, wo übertriebene Fankultur beginnt. Wenn das schon im Mikrokosmos Stadion über 90 Minuten nicht funktioniert, wie soll das dann im Großen und Ganzen funktionieren? Soziale Netzwerke mit eingeschlossen? Der Stadionbesuch in Münster an der Hammer Straße ist für meinen Freund und auch für mich in Zukunft erst einmal Tabu. Das ist bedauerlich, zumal ich weitere Stadionbesuche auch zusammen mit meinem Sohn geplant hatte. Nur, wie soll ich meinem Sohn Toleranz, Fairness und Respekt vermitteln, wie es auf den Eintrittskarten der Preussen geschrieben steht, wenn bereits zurückhaltende Gästefans im Stadion bespuckt und angegriffen werden? Da hilft nur eins: Nicht (mehr) bei den Preussen.
8 Gedanken zu „Als ich mich schämte, Fan des SC Preussen Münster zu sein“
Es ist eben NICHT neutral, die Gegengerade IST und BLEIBT Heimbereich….in jedem anderen Stadion würdet ihr nichtmal bis rein kommen bzw von Security freundlich rausbegleitet,PUNKT!!!!
Hallo Thomas,
ich habe durch meinen knapp zweijährigen Aufenthalt in Düsseldorf nur zwei weitere Spiel Spiele in Münster in 2015/2016 gesehen. Zu den Hintergründen mit den Ultras kann ich aus eigener Erfahrung bzw. aus eigenen Erlebnissen nicht viel sagen.
In Dresden saß ich einst auf einem Sitzplatz.
Aber wenn das in Münster mit einem fremden Schal selbst auf der „neutralen“ Gegengeraden als Fan mit dem Miteinander nicht klappt, hat Münster wirklich ein Problem. Jetzt ist ja etwas Zeit, sich über diese Problematik Gedanken zu machen. Ich bin sehr gespannt, was sich da im neu formierten Vorstand in der Pause tut.
Beste Grüße aus Münster!
Also erstmal: Du kannst in einem alten Stadion wie Münster nirgends auf den Stehplätzen einen gegnerischen Schal tragen. Das ist aber nicht so neu und war schon in meinen Anfangstagen dort Ende der 80er so. In modernen Stadien ist das halt anders – durch Sitzplätze. Warst Du in Dresden im Stehbereich mit einem Preußenschal?
Ich war beim letzten Dresden-Heimspiel im Stadion. So viel nackte, ungebremste Zerstörungswut habe ich nur ein Mal schlimmer in Münster erlebt: Damals zerlegten die Anhänger von Rot-Weiß Essen das Stadion.
Was die Ultras betrifft: Nicht die Aussperrungen sind in Münster das Problem, sondern die Unbelehrbarkeit und das Fehlen jedweder Bereitschaft zum Miteinander. Du kennst das Plakat „Fickt euch alle“? Das führte endgültig zum Bruch mit vielen anderen Anhängern.
Hallo Thomas,
danke für deine Anmerkungen. Aber ist die Gegengerade (Block I,K) im Preussen-Stadion wirklich „Heimbereich“? Dann empfehle mir doch mal einen Stehplatz (für die Stimmung) in Münster, den ich mit einem äuswärtigen Fan in Münster betreten kann.
Zu deinen Ausführungen bezüglich der Ausschreitungen einiger Gäste-„Fans“ gebe ich Dir recht. Oftmals wird hier eine Grenze überschritten. Vor allen von einigen Dresden-Anhängern. Am letzten Samstag – und nur dazu kann ich etwas sagen, weil ich selbst im Stadion war – sind mir abgesehen von ein paar dummen Fan-Gesängen (Absteiger, etc..) keine Provokationen aufgefallen. Ganz anders jedoch die Provokationen, die von den Preussen-Fans ausgingen: Ich könnte mehr als ein Dutzend Personen beschreiben, denen das GANZE Spiel völlig gleichgültig war und die über die komplette Spielzeit und darüber hinaus nur die Provokation gesucht haben.
Als ich, wie im Text beschrieben, vor einem Jahr in Dresden war, durfte ich zum Glück andere Erfahrungen machen. Es kann also funktionieren mit der Gastfreundlichkeit in fremden Stadien.
Bist Du selbst im Stadion gewesen, als die Dresdener zuletzt in Münster randalierten? So ganz kann ich deine Pauschalisierung „Dynamo-Anhänger sind das Schlimmste, was in deutschen Stadien rumläuft“ nicht verstehen. Zumal Du ein Mann der Worte bist, mit einer journalistischen Ausbildung. An welchen Fakten machst Du diese These fest? Und mit: „Das weiß man einfach“, möchte ich mich nicht zufrieden geben.
Ich hoffe, es ist klar geworden, dass ich aufgrund dieses einen Vorfalls nicht meine komplette Leidenschaft an den Nagel hänge. Zudem ist der Kommentar auch vor dem Hintergrund, dass es sich um das letzte Heimspiel gehandelt hat, öffentlich gemacht worden.
Fakt ist, dass Münster mit den Ultras, den Aussperrungen, dem fragwürdigen Sicherheitskonzept etc. ein Problem hat. Und wenn dieses nicht gelöst ist, muss ich doch – wie in deinem Fall – in Zukunft nur noch die Sitztribüne mit meinen Gästen wählen. Was ist sehr schade fände.
Und auf dem Weg in den Block haben uns durchaus auch zahlreiche „Sicherheitskräfte“ gesehen, die allesamt jedoch anscheinend keine Probleme hatten mit einem Gast plus Schal auf der Gegengeraden. So viel dazu….
Mit besten Grüßen in die schöne Stadt am Rhein ….
Christian
Ansonsten empfehle ich 1. Korinther 6, 12
Alles is mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum guten.
Ganz ehrlich????? Mitten in die Gegengerade rein, mit einem Dynamoschal????Wo ohnehin die Herrschaften aus Block N hingehen, weil sie dort die Karten kriegen? Und dann sich noch wundern, wenn der Empfang frostig ist? Nicht dass ich die Angriffe entschuldigen oder gar rechtfertigen will, aber das macht man schlicht und ergreifend nicht. In jedem anderen mir bekannten Stadion wirst du als erkennbarer Gästefan überhaupt NICHT in den Heimsteher bereich gelassen, Ende Gelände……..
Einerseits gebe ich dir recht. Vor allem, weil es unter den Preußen-Anhängern leider wirklich ein paar Vollpfosten gibt.
Andererseits: Wenn du dich mit einem Gastschal unter stehende Heimanhänger begibst, kann das gutgehen – wird es aber in der Mehrzahl der Fälle in deutschen Stadien nicht. Das ist traurig, aber wahr. Hätte die Security den Schal gesehen, hättet ihr diesen Bereich nicht betreten dürfen – und auch das ist trauriger Alltag in Deutschland, nicht nur in Münster, sondern fast überall. Das gilt allerdings vermehrt für alte Stadien, in denen die Fantrennung schwerer fällt als in modernen Arenen.
Vor allem aber: Das Verhalten, das du erlebt hast, darf nach deiner Schilderung als putzig gelten, gegenüber dem, was die Dresdner in der Vergangenheit in Münster anstellten. Beim letzten Gastspiel wurde eine Wurstbude im Stadion angegriffen, obwohl dort eine Verkäuferin ihren Dienst tat; es wurde versucht den Teil der Gegengerade zu stürmen, der neben der Gästekurve liegt, Gegenständ flogen in Richtung der Münsteraner Fans. Wenn ich mich weiter recht erinnere gab es auch in Dresden heftige Zustände.
Tja, uns so was merken sich selten die Normalo-Zuschauer – aber immer die Vollspacken.
GERADE wenn es hier um einen Dresdner geht, kann ich deine Scham nicht verstehen. Denn ernsthaft: Dynamo-Anhänger sind mit das Schlimmste, was in deutschen Stadien rumläuft.
Insgesamt aber gilt: Mit dem Schal einer Gastmannschaft in einen Heimbereich zu gehen ist ein Sicherheitsrisiko überall in Deutschland. Und das sollte man als Fußball-Fan eigentlich wissen.
Wenn ich mit Gästefans zusammengucken möchte, lege ich mir doch vorher ne Karte für den neutralen Block (Haupttribüne) oder lasse einfach den Schal zuhause.
Es gehört sich einfach nicht, mit dem gegnerischen Schal sich in den Heimblock zu stellen. In Dresden würde ich mich auch nicht mit Schwarz-Weiß-Grünem Schal in den K-Block stellen.
Ich weiß das ich da zu Gast bin, und respektiere das.
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