2023, es ging aufwärts mit dem Kino. Noch sind die Zahlen von „vor-CoVid“ im Jahr 2019 nicht erreicht, aber die Lichtspieltheater erholen sich wieder. Auch „Barbenheimer“ sei Dank. Über 600 Filme (inkl. Wiederaufführungen) standen in den Listen des Bundesverbandes deutscher Filmverleiher (VdF). Die beiden umsatzstärksten Filme waren mit Abstand „Barbie“ und „Oppenheimer“. Aber was war gut? Was war weniger gut… im Kino. War es EIN GUTES Jahr für das Kino? Aus meiner Sicht ein klares Ja
!
Selten ist es mir so schwer gefallen, aus den vielen Filmen, die ich in diesem Jahr gesehen habe (138), ein Destillat aus 20 besten Filmen zu erstellen. Aber weil dies – auch wegen meiner Tätigkeit als Redakteur einer Wochenzeitung – mir jedes Jahr nahegelegt wird, und ich diese Liste jedes Jahr sehr gerne anlege, möchte ich Dir auch in diesem starken Kinojahr die Liste zeigen. Diskussionen sind willkommen!
Auch bei über 130 Kinofilmen gab es in 2023 bei mir leider keinen Festivalbesuch. Zudem sind mir Netflix-Filme wie „The Killer“, „Maestro“ und „Leave the World Behind“ schlichtweg „durchgerutscht“. Ebenso fehlen die Empfehlungen der Kolleg*innen wie „Barbie“, „Talk to me“ oder „Sonne und Beton“. Bleibt zu hoffen, dass das Angebot im nächsten Jahr qualitativ mindestens genauso gut evtl. besser (nach dem Autor*innen-Streik in den USA) und quantitativ auf ähnlich hohem Niveau bleibt. Und, dass ich einmal mehr das richtige Händchen habe und die richtige Wahl treffe.
Meine Kino-Top-Ten 2023
Auch am Ende dieses Jahres möchte ich zunächst auf folgende Sichtungen hinweisen.
Sie sind mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben:
10. Broker – Familie gesucht (Kore-eda Hirokazu)
Nach „Vater und Sohn“ und „Shoplifters – Familienbande“ ein weiteres Präkariats-Drama von Hirokazu, diesmal über ein Waisenkind und eine gemeinsame Suche nach den passenden Eltern. Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem Hirokazus Umgang mit seinen Figuren. Auch „Broker“ ist ein mit einem besonderen Gespür für emotionale Begegnungen, dabei aber nie auf Effekt getrimmte Momente inszenierter Film, dessen Figuren durch ihre Ambivalenz und Verwundbarkeit stets menschlich wirken.
9. Irgendwann werden wir uns alles erzählen (Emily Atef)
Sonnendurchflutete und sehr sexy inszenierte Romanadaption um ein Verhältnis zwischen einem 40-jährigen Pferdezüchter und seiner 19-jährigen Nachbarin im Nachwendesommer in Ostdeutschland. Nach ihrem herausragenden Interview-Film „3 Tage in Quiberon“ verfilmt Emily Atef einen Roman von Daniela Krien. Vor allem Marlene Burow als Maria, auf der Suche nach Halt und Richtung (stellvertretend für die Nachwende-Zeit), und Felix Kramer als Henner blieben mir mit ihrem Spiel im Gedächtnis. Nein, der deutsche Film ist noch längst nicht kaputt-subventioniert. Klasse!
8. Die Frau im Nebel (Park Chan-wook)
Ok, ich gebe zu, ich bin ein Park Chan-wook Fanboy. Nachvollziehbar, dass auch ein „mittelmäßiger“ Chan-wook-Film bei mir in der Bestenliste auftaucht. Über 70 Filmpreise (u.a. Beste Regie Filmfestspiele Cannes 2022) hagelte es weltweit für diesen clever inszenierten Whodunit um einen Mord an einem koreanischen Geschäftsmann. Im Gedächtnis geblieben sind vor allem die beiden Hauptdarsteller Park Hae-il als Kommissar und Tan Wei als mysteriöse Witwe.
7. The Quiet Girl (Colm Bairéad)
Im ländlichen Irland der frühen 1980er Jahre wird die schweigsame 9-jährige Cáit zu Verwandten aufs Land gebracht, um dort den Sommer zu verbringen. Ohne ihren gestressten und überforderten Eltern zur Last zu fallen. So viel Vorschusslorbeeren wie Irlands erster und bisher einziger Oscar-Beitrag hatte kein anderer Film in diesem Jahr. Zudem gab es wenig Filme in den letzten Jahren, die Dank Colm Bairéads ruhig, zurückhaltend und in Andeutungen erzählter Inszenierung, die auf Claire Keegans Erzählung „Foster“ („Das dritte Licht“) basiert, einen so starken emotionalen Sog entwickeln. Taschentücher parat halten.
6. As Bestas – Wie wilde Tiere (Rodrigo Sorogoyen)
Ein Lehrerehepaar aus Frankreich bewirtschaftet einen Öko-Bauernhof im spanischen Gallizien. Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina FOÏS) hatten den Neuanfang gewagt. Das Paar kehrte Frankreich den Rücken und fand in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren eine neue Heimat. Als Antoine das Vorhaben ihrer Nachbarn, den Anta-Brüdern (LUIS ZAHERA & DIEGO ANIDO), unterwandert, Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen, verwandelt sich der schwelende Konflikt in unverhohlene Feindseligkeit. Erdrückend spannend. Ich habe wirklich Angst vor Menschen auf der Leinwand bekommen.
5. Anatomie eines Falls (Justine Triet)
Eine Schriftstellerin wird des Mordes an ihren Mann verdächtigt. Und der blinde Sohn der beiden gerät in ein moralisches Dilemma. Unzählige Filmpreise, darunter der Europäische Filmpreis für Sandra Hüller sowie zahlreiche Oscar-Nominierungen belegen die Qualität dieses äußerst spannenden Familien-Gerichts-Dramas.
4. Oppenheimer (Christopher Nolan)
Nach Sci-Fi- („Interstellar“) oder Kriegsfilm-(„Dunkirk“) Meisterwerken hier also das fehlende Puzzle-Stück im Genre Bio-Pic von Christopher Nolan. Es geht, titelgebend, um den gleichnamigen „Vater der Atombombe“. Und nicht nur Cilian Murphy als J. Robert Oppenheimer, sondern auch die Nebendarsteller, allen voran Emily Blunt als alkoholkranke Ehefrau Kitty und Robert Downey Jr. als Kongressabgeordneter Strauss sind herausragend in diesem dreistündigen Epos. Ein Film, der sich mit den richtigen und auch falschen Fragen befasst, mit persönlichen Intrigen, mit Verrat, mit persönlichem Beleidigt-sein, damit, wer wem die Hand gibt und warum nicht.
3. Perfect Days (Wim Wenders)
Aus einer Auftragsarbeit über Toilettenhäuschen in Tokio entwickelt Wim Wenders eine berührende fiktive Geschichte über einen in die Jahre gekommenen Toilettenreiniger und Musikfan. Es ist ein Darsteller-Film. Und Japans Superstar Koji Yakusho („Shall we dance“, „Babel“) dankt es dem deutschen Regisseur mit einer beeindruckenden Hingabe. Bei ihm werden selbst Alltagsroutinen zu einem Ereignis. Japans Oscar-Kandidat 2024.
2. Roter Himmel (Christian Petzold)
Ein junger Schriftsteller verliebt sich in einem heißen Sommer an der Ostsee in eine Literatur-Studentin. Die Geschichte soll auch autobiographische Züge haben. Und Thomas Schubert und vor allem Paula Beer sind herausragend in ihren Rollen. Nach “Barbara”, “Phoenix” und Co. einer der besten Filme von Christian Petzold. Weltweit vielfach beachtet.
1. Past Lives – In einem anderen Leben (Celine Song)
Eine junge koreanische Autorin, als Kind mit ihrer Familie in die USA ausgewandert, trifft nach vielen Jahren ihre erste Schüler-Liebe wieder. Ein Film, der rund um die Themen Schicksal, Vorsehung, verpasste Chancen, Liebe und Erinnerungen kreist. Grandios und wahrhaftig. Die schönste Kino-Romanze des Jahres.
Das waren meine Highlights aus dem Kinojahr 2023. Wer die besten Filme des Jahres 2022 noch einmal nachlesen möchte, für den habe ich hier den Link dazu. Wir sprechen uns an dieser Stelle hoffentlich bald wieder. Und Kommentare zu meiner Liste gerne am Ende des Textes in die Kommentarspalte. Auf ein wunderbares Kinojahr 2024!