Münster, eine gute Anlaufstelle für Filmdebütanten? Nach zahlreichen Hochschulabsolventen (Christian Schwochow mit „Novemberkind“, Dietrich Brüggemann mit „Renn, wenn Du kannst“) machte auch Florian Cossen, Jahrgang ´79, auf seiner PR-Tour für seinen Debütfilm in Münster Station und stellte seinen Film vor Kinostart dem Publikum vor. Und auch der Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg konnte sich, wie bereits seine Mitstreiter vor ihm, über eine ausverkaufte Vorstellung und ein begeistertes Publikum freuen. Noch lange nach dem Abspann stellte sich der junge Regisseur den zahlreichen Fragen aus dem kritischen Publikum, zusammen mit seinem Tonmann Daniel Weis.
Ich konnte mich, zusammen mit Vertretern aus der Lokalpresse, bereits während des Films mit Florian Cossen unterhalten. In dem knapp zweistündigen Gespräch ging es um die Stadt Buenos Aires, über Probleme, in einer Großstadt einen Film zu drehen und natürlich um die Entstehung seines Spielfilmdebüts „Das Lied in mir“.
Christian Gertz: Herr Cossen, Sie arbeiteten für ihr Debüt „Das Lied in mir“ mit dem Produzenten Jochen Laube zusammen, der schon „Urlaub vom Leben“ und „Novemberkind“ erfolgreich ins Kino gebracht hat. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit ?
Florian Cossen: Also erst einmal, ich bin Florian! Jochen kenne ich schon etwas länger. Und zwar vom Fußball. Wir sind beide begeisterte Fußballfans und haben sogar mal in einer Mannschaft zusammen gespielt. Außerdem war ich Regieassistent bei seinem Diplomfilm „Urlaub vom Leben“. Das heißt, wir begleiten schon eine Weile die jeweiligen Projekte des anderen. Im Laufe des Entstehungsprozesses von „Das Lied in mir“ kam er dazu, auch weil er die Abteilung Debütfilme bei teamworx leitet. Außerdem wohnt er in Ludwisgburg, durch die enge Verknüpfung mit der Filmhochschule. Und wenn man sich schon in der Abwehr aufeinander verlassen kann, dann kann man das auch beim Film.
Christian Gertz: Du hast für dein Debüt mit Jessica Schwarz und Michael Gwisdek zwei hervorragende Darsteller gewinnen können. Wie schafft man das? Und hattest Du die Besetzung bereits beim Schreiben des Drehbuchs im Kopf ?
Florian Cossen: Am Anfang stand die Frage: Fangen wir mit der Tochter oder mit dem Vater an? Und wir haben uns für die Tochter entschieden. Ich habe nach der Drehbuchentwicklung ein 15-seitiges Treatment verfasst, mit Photos aus Buenos Aires unter dem Schwerpunkt „Erinnerungen“. Dieses Treatment habe ich Jessica zukommen lassen, über ihren Agenten. Nur wenig später haben wir uns in Berlin getroffen und einen Kaffee zusammen getrunken. Und diese Situationen (er-)lernt man natürlich auch in einem Seminar an der Filmhochschule. Man lernt, wie man jemandem in wenigen Minuten seine Filmidee schmackhaft machen kann. Ich glaube, das ist mir bei Jessica ganz gut gelungen. Und was ich zu meiner Schande gestehen muss ist, dass ich gar nicht wusste, dass sie in ihrer Jugend 6 Jahre Leistungsschwimmen gemacht hat. Und die Hauptfigur im Film, die Maria, ist ja Leistungsschwimmerin. Das hat ihr auch ganz gut gefallen, glaube ich.
Christian Gertz: Ist die Hauptfigur Maria deshalb eine Leistungsschwimmerin, weil Schwimmer sehr zielgerichtet sind? Es geht ja in deinem Film auch um die metaphorische Ebene „aus der Bahn geworfen werden“. Nicht nur sie, auch der Vater und damit die Familie werden „aus der Bahn geworfen“.
Florian Cossen: Ich wollte gerne, dass die Hauptfigur eine feste Identität hat. Das heißt, Maria kann ihre Identität auch „in einer Tasche“ mitnehmen. Sie ist Schwimmerin und schwimmen kann sie auf der ganzen Welt. Ein Schwimmbad, dieses Refugium, ist auf der ganzen Welt gleich. Das Becken ist immer 25 mal 50 Meter. Und ich wollte eine Figur, die etwas Physisches macht. Maria sollte keine Wissenschaftlerin sein, sondern etwas Handfestes machen. Und in dieser staubigen, im Sommer heißen Stadt Buenos Aires kann sie, wie überall auf der Welt, ins kühle Schwimmbad gehen und ihrer Berufung nachgehen. Dieser Kontrast zwischen Entwurzelung und Identität hat mir gut gefallan.
Christian Gertz: Sehr schon finde ich, wie Du die Stadt Buenos Aires dargestellt hast. Du hättest beispielsweise die schönsten Plätze einfangen können. Wie in vielen Hollywood-Produktionen zu sehen, wenn die Figuren nach Europa kommen.
Florian Cossen: Ich wollte den Film bewusst nicht mit den schönsten Plätzen der Stadt „aufladen“, weil es hier nicht um die Stadt, sondern um das Schicksal der Figur geht. Mit einer anderen Herangehensweise hätte ich den Zuschauer zu sehr abgelenkt, denn es geht um Maria und um ihr Schicksal. Wer mehr über die Stadt oder über die Hintergründe erfahren will, der kann sich die Informationen heutzutage blitzschnell bei Wikipedia oder in einigen sehr guten Dokumentationen anlesen bzw. anschauen. Als ich 2006 in Argentinien war, hatte ich nach den geeigneten Plätzen und Stimmungen gesucht. Ich wollte aber vermeiden, vor dem historischen Hintergrund der 70er Jahre (Militärdiktatur, Entführung der 30.000 Kinder, etc), eine Dokumentation über das Thema zu machen. Mir ging es mehr um die emotionalen Auswirkungen bzw. Folgen bei den Familien, die ihre Kinder verloren haben. Und natürlich um die Kinder, die genau wissen oder erfahren, dass sie nicht die Kinder ihrer Eltern sind, die sie kennen. Uns war ziemlich früh klar, dass wir keinen dokumentarischen Ansatz verfolgen wollen. Als Filmemacher bin ich Manipulator. Ich bin ein Geschichtenerzähler und da wäre altes Doku- oder Fotomaterial fehl am Platze gewesen.
Christian Gertz: Du bist ein Diplomatenkind und hast lange im Ausland und auch kurz in Buenos Aires gelebt. Kennst Du spanische bzw. südamerikanische Filme, die sich mit dem Thema „Kindesentführung unter der Militärdiktatur in Argentinien“ beschäftigen?
Florian Cossen: Ja, da gibt es schon einige Dokumentation. Ich weiß nicht, ob man die hier bekommt. Einer heißt „Ijos“. Spielfilme zu dem Thema gibt es nicht so viele. Vielleicht den ital. Spielfilm „Junta“, der Regisseur oder die Regisseurin fällt mir jetzt nicht ein. Ansonsten fallen mir jetzt adhoc leider keine anderer Film ein. Was beispielsweise die Mitarbeiter vor Ort ganz spannend fanden, war nicht das Thema an sich – darüber gibt es wie gesagt einige Fernsehfilme und Dokumentationen – sondern spannend war für die Produktionsfirma die Perspektive. Das heißt, wie sehen Europäer die Problematik der Kindesentführungen? Wir wollten auch einen Film machen, den wir in Argentinien zeigen können. Die Premiere des Films ist dort am 11. März und ich bin schon wahnsinnig aufgeregt. Aber alle Argentinier, die beispielsweise im Ausland leben, fanden den Film sehr gut. Das ist mir sehr wichtig.
Christian Gertz: Warum hast Du deiner männlichen Hauptfigur die Frau und der Maria die Mutter genommen?
Florian Cossen: Das stand bereits sehr früh fest. Wir wollten eine sehr enge Vater-Tochter-Beziehung, die auch im Alter von 30 noch sehr eng ist. Das kann nur funktionieren, wenn der Vater seine Tochter lange Zeit alleine erzieht. Zudem hat mich die emotionale Wucht interessiert, die Maria verarbeiten muss. Maria ist eine sehr starke junge Frau. Andere Figuren hätten fünf Tage lang durchgeheult. Maria, die lange Zeit nur bei ihrem Vater groß geworden ist, muss diese Stärke beweisen, nachdem ihr bewusst wird, dass sie vom Vater belogen worden ist. Aber sie schafft das. Vielleicht hat sie sich ihre Stärke „erarbeitet“.
Christian Gertz: Wann stand für Dich fest, dass Du zum Film willst?
Florian Cossen: Erst ziemlich spät. Erst in der Zivildienstzeit in Deutschland habe ich erfahren, dass man das Fach studieren kann. Der Auslöser war ein Kurzfilm meines Freundes, der mich sehr beeindruckt hat. Dann habe ich mich in Berlin beworben und bin leider abgelehnt worden. In Ludwigsburg wurde ich angenommen und habe am Anfang sehr viel Regieassistenz gemacht. In Ludwigsburg ist zudem alles vertreten, das kommt einem jungen Filmemacher sehr entgegen. Hier gibt es auch das Fach „Serie“, über das man wahrscheinlich in Potsdam nur müde lächeln würde. Film und Fernsehen sind schon zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber dadurch bekommt man in Ludwigsburg auch sehr gut vermittelt, dass man Zeitpläne und Abgabentermine einzuhalten hat.
Christian Gertz: Gibt es Vorbilder, bestimmte Regisseure, bestimmte Filme?
Florian Cossen: Ich glaube ich habe eher Vorbildfilme. Weniger bestimmte Regisseure. Ich habe im Studium auch gelernt, dass auch ein großer Regisseur mal sehr daneben liegen kann. Das beruhigt einen jungen Geschichtenerzähler natürlich sehr. Wenn ich einen Film nennen müsste wäre es „Paris, Texas“ von Wenders. Der hat mich schon sehr beeindruckt. Das Spiel mit Licht und Schatten, die Landschaften aber auch die emotionale Bandbreite. Ja, der Film hat mich schon geprägt.
Christian Gertz: Wie war eigentlich die Arbeit mit den Darstellern wie beispielsweise mit Jessica Schwarz in Buenos Aires?
Florian Cossen: Das Gute an der Arbeit mit den deutschen Darstellern war, dass sie kein Mensch kennt. Also, das war sicherlich auch sehr angenehm für Jessica Schwarz und Michael Gwisdek. Wenn man mit der Kamera und den Darstellern durch die Stadt läuft, waren wir meistens zu viert und zu fünft. Ich ging in den meisten Fällen vorweg, mit dem Tonmann und dann kam die Kamera. Das ging sehr gut. Außer bei unserem argentinischen Darsteller Rafael Ferro. Ihn kennt man in Argentinien aus dem Fernsehen. Die Szenen mit ihm haben wir auch deswegen in der Nacht gedreht.
Christian Gertz: Bist Du ein strenger Regisseur oder lässt Du deinen Darstellern viel Raum?
Florian Cossen: Ich versuche, eine Szene nach ihrer Emotionalität aufzulösen bzw. einzufangen. Das heißt, der Darsteller soll sich dort positionieren, wo er sich wohl fühlt. Dann habe ich die passende Stimmung und die passende Atmosphäre. Das macht vieles einfacher und auch für die Darsteller angenehmer. Zudem profitiere ich dann auch von der Erfahrung der Darsteller. Das ist im besten Fall ein produktiver Austausch.
Christian Gertz: Florian, vielen Dank für dein Kommen und das Gespräch. Und viel Glück mit dem Film
Florian Cossen: Danke, vielen Dank auch.
Der Film „Das Lied in mir“ läuft ab Donnerstag, 10. Februar 2011 auch im Cinema in Münster. Mehr über den Film finden Sie bei mehrfilm.de.